Autor: Heimi Joltach (Seite 1 von 7)

Im dm-Markt

ist gerade niemand an der Kasse. Bei den geruchsfrischen Einlegesohlen jedoch langweilt sich eine Türkin meines Alters durch drei.

Können Sie mich abkassieren?, fragt mein Blick.

Nicht dein Ernst?!, blickt sie zurück. Dann sagt sie laut: Gewiss doch.

Das Wechselgeld fällt in meine Hand wie Kieselsteine, die von einem Laster rieseln. Rasch folgt die Arschlochphrase.

Gleichfalls, danke! Bei der Gelegenheit – der Chef mag’s nicht, hört aber auch nicht dauernd zu – Sie werden 33 Jahre alt. Das sollte so im Juli sein, 2037. Aber keine Sorge, es wird nicht sehr schlimm wehtun und schnell geh’n. Und es wird Ihnen eh ziemlich wurscht sein, nachdem Sie im fünften Kriegsjahr schon Ihren Sohn verloren haben. Ist ja auch nicht schön, immer so nah am Wahnsinn langzuspazieren.

Wie bitte???

Ach, vergessen Sie’s. Ist ja noch eine Weile hin. Und auch Ihnen noch einen schönen Abend!

Wenn  man einem jungen Menschen rät, mindestens die ersten dreißig Seiten der „Merowinger“ von Doderer zu lesen und nach erfolgter Lektüre als Antwort erhält, dass der so Beratene zwar geahnt habe, an welchen Stellen er hätte lachen müssen, sie aber nicht lustig gefunden habe, dann kann man den derzeitigen Zustand der Welt recht klar und ohne den geringsten Anlass zu Optimismus abschätzen.

Bei dem Computer-Spiel „Diablo“ geht es darum, so tief wie möglich in die Hölle vorzudringen, Aufgaben zu lösen und dabei Punkte zu sammeln.

Ganz ähnlich verläuft das Spiel „Rentner“:

Man dringt dank des Deutschlandtickets und der S-Bahn an den Starnberger See vor, trinkt dort ein zeitiges Weißbier, wärmt sich am abschätzenden Blick der sexuell Untoten, kauft sich ein Ticket für den Katamaran, der früher mal ein Dampfer war, kommt erst mit einem Königspudel ins Gespräch, dann mit der zugehörigen Greisenreisegruppe, beeindruckt mit der eigenen Katarakt-OP, die jene noch vor sich haben, und fährt schließlich wieder nach München zurück, entschlossen, den Mai-Feiertag im Biergarten ausklingen zu lassen. Dann aber ermüdet die Rolltreppenfahrt vom Bahnsteig an die Oberfläche stärker als erwartet und man beschließt, lieber ein Gläschen Wein auf dem eignen Balkon einzunehmen, den dummen Telefonaten debiler Nachbarn lauschend.

Gibt keine Punkte, aber man rückt deutlich tiefer Richtung Hölle vor.

Eigentlich kann es nicht mehr lange dauern, bis KI unwiderlegbar beweist, dass es keinen Gott gibt.

Herr, lass mich den Tag erleben, an dem Millionen schwarzbärtiger Hohlköpfe ihre Smartphones verbrennen!

Als erfolgreicher Selfmade-Bankrotteur kann man nicht einfach weitermachen wie bisher; man muss sich schon den Gepflogenheiten des Dauerprekariates anpassen. Also habe ich gleich mal bis halb 4 Uhr morgens die Oscarverleihung auf Pro7 angeguckt. Bier, Schnaps und Chips dazu – fertig ist der kalorienunbewusste Absturz mit Teufelskreispotential und Selbstmitleidserwachen gegen Mittag.

Ganz rund läuft es freilich noch nicht. Vor dem stundenlangen, ziellosen Durchstreifen der Stadt habe ich aus alter Gewohnheit geduscht und saubere Klamotten angezogen. Jogginghose und Plastiklatschen traue ich mich noch nicht, aber das kommt bestimmt mit der Zeit.

Jede noch so banale Erinnerung an längst Gestorbene hilft beim Einordnen des eigenen Alterns.

Die sechs Stufen im Umgang mit Pennern

 

10 Jahre: Mama, warum stinkt der Mann so?

20 Jahre: So abgestürzt bin ich noch nie. Wie macht man das?

30 Jahre: Ich glaube, man kann viel mehr trinken, als die Schulmedizin uns weismachen will! Und jederzeit damit aufhören!

40 Jahre: Gut, dass ich nicht so aussehe! Wie lange kann man eigentlich ungeduscht überleben?

50 Jahre: Du armes Schwein hast wahrscheinlich mal ein ganz normales Leben gehabt, bevor etwas furchtbar schief ging…

60 Jahre: Das probier‘ ich jetzt auch mal aus! (Job weg, Frau weg, Gesundheit weg, Perspektive weg)

Der Wunsch, selbst Gedachtem Bedeutung zu verleihen, verunglückt oft in einem Aphorismus.

In Zeiten von Smartphones alt zu werden, hat den Vorteil, dass man auf offener Straße laute Selbstgespräche führen kann, ohne für verrückt gehalten zu werden.